15. September 2006 Das war nun eine kleine Pause in den Berichten und Plaudereien vor Ort. Ich hab
eine Weile in Istanbul verbracht. Wo wir mit dem Projekt "Exociti"
darangegangen sind, künstlerische Akzente in die Straßen der Metropole zu tragen.
Was in der Türkei völlig unüblich ist. Es gibt zwar
sporadisch Graffiti, aber so konkret elaborierte und koordinierte Kommunikationsakte
fehlen dort weitgehend.
Auffallend schien mir, daß beim Auftauchen von Polizei
größte Zurückhaltung gezeigt, eine Konfrontation streng vermieden wurde. Zugleich war
doch sehr interessant, daß künstlerische Inhalte in der teils poetischen Form von
Polizisten nicht als "illegal" dechiffriert wurden.
In der Zwischenzeit ist es "zuhause" hoch
hergegangen, wie ich den Medienberichten entnehme. Besonders beunruhigend finde ich, daß
offenkundig rassistische und xenophobe Motive in der Öffentlichkeit immer mehr Platz
gewinnen, ohne angemessenen Widerspruch zu erfahren.
Ein besonderes Exempel, repräsentativ für diese
Entwicklungen, ist wohl das Auftreten der regional einigermaßen populären
"Mausi" Lugner, deren Ehemann ja auch mit dem Bau von Moscheen gutes Geld
verdient hat. Mit folgenden Statements markiert man "Fremde" als inferior und
beginnt, sie zum "Abschuß" freizugeben:
+) "Kebabstuben sind der Kulturverfall
Österreichs."
+) "Ich will nicht, daß meine Tochter Serbokroatisch lernt."
So verfaßt man Listen dessen, was einem fremd und daher
"häßlich, minderwertig" etc. erscheint. (Quelle: "Der Standard" vom 8. September.)
Besonders zynisch an solchen Haltungen ist die Schamlosigkeit, wie mitunter genau das, was
man herabwürdigt, auch noch kühn vermarktet wird. Denn sieht man sich den Lugner'schen
"Mausi Markt" in Wien an, fällt doch auf, daß er ganz im Stil orientalischer
Phantasien gestaltet wurde. (Details siehe: LINK!)
Untertanenmentalität besagt: "Wer reich ist, hat
recht." Das verbindet sich vorzüglich mit dem oft auffindbaren Aufsteiger-Diktum:
"Wer arm ist, hat selber schuld." Es sind zwei Komplementärsätze. Die uns
bekannte Funktionen haben. Identität, Nation, öffentliche Diskurse und Feindbilder ...
hier verschärft sich das Klima von Jahr zu Jahr. Widerspruch und Einwände werden immer
dringende!
Cut!
Identität. Nation. Geschichte. Diesen Aspekten ist ein
Teilprojekt von "Next Code" gewidmet, dessen Auftakt innerhalb des
"Realraumes" im "Nil" stattgefunden hat.
"memory
truth vision" meint das kulturelle Rüstzeug von individuellen und kollektiven
Identitäten. (Oben: Im Stadtteil Taksim in Istanbul gezeigt.) Es ist das grundlegende
Themen-Ensemble für jene Erzählung, mit der wir uns als ident behaupten. Ident womit?
Tja! Darüber wird eben erneut zu debattieren sein. Vor allem wenn xenophob gefärbte
Botschaften sich im öffentlichen Raum so stark bemerkbar machen ...
Das Set "memory
truth vision" hat nun HIER eine Zusammenfassung im Web. Die Frau rechts
auf dem oben gezeigten Bild ist die türkische Künstlerin Deniz Gül. Eine von ihr inspirierte
Arbeit zum Themenbogen Identität wird demnächst im "Nil" gezeigt.
[martin]
[Fotos: Krusche] [Links & Quellen]
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